Abbildung: Flyer
 


Für ihre Intervention im Viewer hat sich das Künstlerduo Susanne Schär & Peter Spillmann mit den formalen Begebenheiten vor Ort und seinen Brüchen auseinandergesetzt. So interpretieren sie den Viewer als «Überwachungskamera», als Beobachter des Raums. – To View: erschauen, was im Display auftaucht und festgehalten wird. Eine Teilinformation wird gezeigt, der sowohl politisch-gesellschaftliche als auch ästhetische Botschaften zu Grunde liegen können. In der Turmuhr des Bieltors fand das Künstlerduo die entsprechende Visualisierung für ihr künstlerisches Vorhaben im Viewer. Das Zifferblatt an der Nordseite des Turms ist vom Amthausplatz aus nicht sichtbar und wird deshalb von vielen StadtbewohnerInnen kaum beachtet.

Im Innenraum des Viewers erblickt man eine Szenerie gleich einer Bühne. Diese ist nicht mit Darstellern, sondern korporativen Protagonisten besetzt. Das Bild wird von einem angeordneten Apparat, bestehend aus Regiepult, Studiokamera, Maske, Spiegel und Beamer produziert und projiziert: Auf Umwegen nähert sich der Betrachter damit der nördlichen Turmuhr des Bieltors. Die Projektion, die an der Wand im Viewer sichtbar ist, spiegelt das Verstreichen der Zeit. Das Bild ist tatsächlich gespiegelt. Diese Irritation lässt die Betrachtenden zu Mitwirkenden werden. Das Rückwärtslaufen der Zeit auf der Projektion ist in Wahrheit das Verstreichen der realen Zeit. Die Uhr selbst ist direktes Visualisieren eines Ablaufs.

Dieser eigentlich unspektakuläre Prozess zeigt uns gleichzeitig das Vorwärts- und Rückwärtsgehen der Zeit. Wir erfahren die Zeit als Fortschreiten der Gegenwart in die Zukunft und gleichzeitig als Rückblick in die Vergangenheit. Nach dem Philosophen Augustinus von Hippo sind Vergangenheit und Zukunft nur Erinnerungen – beziehungsweise Erwartungen in der Gegenwart. Uns Betrachtende lädt diese Arbeit ein, in unserer schnelllebigen Zeit den Moment als solchen wahrzunehmen. Das Rückwärtslaufen der Uhr zu beobachten erlaubt uns, gleichzeitig im Hier zu sein und ins Vergangene einzutauchen. Der Denkanstoss des Fotografen und Filmemacher Robert Frank kann dazu vielleicht einen Wegweiser sein. Er reflektierte einmal seine Arbeit mit der Kamera folgendermassen: «NOW I SPEAK TO THE PEOPLE IN MY VIEWFINDER. NOT SIMPLE AND NOT ESPECIALLY SUCCESSFUL».

An der Finnissage der Ausstellung VIEWWWER erproben die Theater- und Tanzschaffenden Jonas Gillmann und Rebecca Weingartner das Verwischen digitaler Überwachungsbilder. Sie loggen sich in die von Susanne Schär und Peter Spillmann inszenierte Überwachungsapperatur ein und bieten alle ihnen zur Verfügung stehenden Theatermittel auf, um vermeintliche Sichtbarkeiten in einen Leerlauf geraten zu lassen.



Text: Fränze Aerni, September 2017

 

 

 

> top